Geschichte des Stiftes
(c) Dr. Erwin Isenberg, März 2001-03
>Nicht erst das Hoheitszeichen des Preußischen Adlers besiegelte gemäß der reichsrechtlichen Sanktionierung durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die politische Entmachtung der Fürstbischöfe und Äbte, schon frühere Säkularisationen beschränkten das Regiment des Krummstabs. Im allgemeinen Begriffsverständnis meint Säkularisation den Anspruch, die Anmaßung oder Befugnis weltlicher Instanzen auf die Verwendung kirchlicher Stiftungen. In diesem Sinne hat Säkularisation im Siegerland bereits zur Reformation stattgefunden. Insofern ist durch die reformierte Landesherrschaft zu einem Teil vorweggenommen worden, was in anderen katholischen oder auch fürstbischöflich regierten Landesteilen erst im 19. Jahrhundert in dramatischer Konsequenz eintrat.
Von der sog. reformatorischen Säkularisation betroffen waren das Prämonstratenser-Frauenkloster Keppel im nördlichen Siegerland und das Franziskaner-Kloster in der Stadt Siegen. In der Regel war diese frühe Form der Säkularisation gekennzeichnet durch die Fortführung der ursprünglichen Zweckbestimmung der eingezogenen kirchlichen Stiftungen, natürlich unter Verdrängung der bisherigen amtskirchlichen Zuständigkeiten (Papst, Bischöfe und Ordenskapitel). An deren Stelle behauptete der evangelische Landesherr das Summepiskopat.
So war es auch in Stift Keppel. Hier kam es zum Herrschaftswechsel "vom Krummstab" zum "Nassauischen Löwen". Sehr behutsam erließ Graf Wilhelm der Reiche eine neue, nunmehr evangelische "Klosterordnung", die ohne große Widerstände - nur zwei Klosterfrauen nahmen die ihnen freigestellte Trennung vom Stift wahr - angenommen wurde. Erst unter seinem streng kalvinistischen Sohn Johann dem Älteren wurde Keppel zu einem "freiweltlichen Damenstift" säkularisiert, d. h. in seiner 1594 aufgelegten Ordnung ist die Bezeichnung "Kloster" endgültig getilgt. Keineswegs wurde aber der Siftsbesitz zur landesherrlichen Eigenverwendung eingezogen, also eine Gütersäkularisation war es nicht. Die Stiftungsmittel dienten weiterhin dem standesgemäßen Unterhalt unverheirateter Adelstöchter, ganz im Sinne der stiftsinteressierten Ritterschaft, aus deren Kreis Anfang des 13. Jahrhunderts die Ritter vom Hain das Kloster Keppel gestiftet hatten. Auch "freiweltlich" sollte nicht heißen, dass man den religiösen Boden verlassen hatte. So wurde im Verständnis reformatorischer Mündigkeitsbestrebungen im 16. Jahrhundert ein Collegium virginum, eine Art höhere Töchterschule im Stift eingerichtet. Auch später, als im Gefolge der Gegenreformation der Konvent eine Simultanverfassung annahm, die seit 1655 für die reformierte wie katholische Fraktion einen eigenen Geistlichen vorsah, stand die religiöse Leitgebung nach wie vor im Mittelpunkt. Die vom Stift ausgehende Seelsorge - auf beiden Seiten wurden Pfarrbücher geführt - begründete auch noch später nach der endgültigen Säkularisation die Aussonderung eines staatlich nicht konfiszierbaren Kirchenfonds.
Nicht so schonungsvoll wie mit den Klosterfrauen in Keppel war Wilhelm der Reiche mit den Franziskanern in der Stadt Siegen umgegangen. Gerade mal 45 Jahre bestand deren
Kloster, das noch sein Vater, Johann der V., 1489 hatte erbauen lassen. Während Johann IV. außerhalb der Stadt (extra muros) um die alte St.-Johannis-Kirche mit dem
damals bereits verfallenen Magdalenenkloster eine Franziskanerniederlassung errichten wollte - worüber er allerdings verstarb -, siedelte sein Sohn Johann V. die Franziskaner
innerhalb der Stadtmauern an. Hierzu kaufte er Selbachs Hof am Kölner Tor und ließ auf diesem Grundstück eine Klosterkirche bauen, auf die das alte
Johannes-Patrozinium übertragen wurde. Im Vermächtnis seines Vaters holte er Mönche der Observanten nach Siegen, jener strengen Richtung der Franziskaner,
die auch Barfüßer genannt wurden. Gerade damals, da eine soziale Gärung und kirchenkritische Haltung sich in breitesten Schichten der Bevölkerung bemerkbar
machte, war die Zeit dafür reif, dass man nach Reformen verlangte. Für solche Reformarbeit setzten sich die Observanten ein. Nicht nur Graf Johann V. hatte im Laufe der
Jahre eine zunehmende Verehrung für die Barfüßer gewonnen, so dass er sich entschloss, selbst Mitglied des III. Ordens des hl. Franziskus zu werden, auch mit der
Bürgerschaft standen die vorbildlichen Mönche im besten Einvernehmen. Johanns Sohn, Graf Wilhelm der Reiche, war ebenfalls von ihnen beeindruckt, bis sich ein Dissens
ergab, der vor allem nachhaltig von dem ins Land geholten Prediger Leonhard Wagner geschürt wurde. Nun mochten sich die Patres aber nicht in die aufkommende
politisch-religiöse Revolution hineinziehen lassen. Sie gingen von dem Grundsatz aus, dass man reinigen und erneuern, aber nicht zerstören solle; dass nicht der Mensch
das Heilige umgestalten dürfe, sondern umgekehrt das Heilige den Menschen. Da sich die Ordensleute nicht der protestantischen Bewegung anschließen wollten, mochte
Graf Wilhelm sie nicht länger in seinem Lande dulden. Am 3. August 1534 wurden sie aus ihrem Kloster verwiesen.
Was ist aus dem Kloster geworden? Bald richteten gräfliche Beamte in den verlassenen Klostergebäuden ihre Wohnungen ein. Im Klostergarten ließ der
gräfliche Amtmann sein Vieh weiden. Später nahm Superintendent Bernhardi Kloster und Garten in Besitz. Um 1572 befand sich in dem Klostergarten eine "Leimenkaute"
zur Gewinnung von Ziegelerde. Der gräfliche Rat Wilhelm Knüttel hatte von auswärts herbeigeholte Hütten- und Bergleute, die bei den gräflichen
Werken beschäftigt waren, im Kloster untergebracht. Derart verwüstet, dass "kein Schloss mehr an der Türe, keine Bank, noch Bretter mehr im Bau waren", musste
man es für einige Zeit schließen. Seit 1574 hausten arme Leute in den Klostermauern. Nach einer Restaurierung bewohnten Studierende der Grafenschule das erweiterte
Gebäude. Danach wurde es auch von der "Hohen Schule" genutzt, die zeitweilig der Pest wegen aus Herborn ausgelagert worden war. Letztlich befand sich eine Werkstatt des
Buchdruckers Corvin in den Gebäuden, bis im Jahre 1600 das ehemalige Kloster unter Graf Johann dem Mittleren zum Witwensitz seiner Gemahlin zweiter Ehe umgebaut und von
mehreren Generationen als fürstliche Residenz der reformierten Linie genutzt wurde.
Es zeigt sich in diesem Fall, dass der Säkularisation des Franziskaner-Klosters keine Fortführung in ideeller bzw. kirchlicher Zweckbestimmung folgte. Hier stand der
Eigennutz der weltlichen Herrschaft im Vordergrund. Ganz anders bei den gefügigen Klosterfrauen in Keppel, wo die Stiftung weiterhin die Präbendierung unverheirateter
Adelstöchter, nunmehr im Status von "Stiftsdamen" ermöglichte.