Geschichte des Stiftes
(c) Dr. Erwin Isenberg, März 2001-03
Stift Keppel befand sich im Jahre 1848, dem Jahr der deutschen Märzrevolution, in einem erbarmungswürdigen Zustand, ein Relikt einer untergegangenen Welt. Nach der Säkularisation waren die Stiftsdamen fortgezogen, wechselnde Pächter nutzten die Gebäude, und speziell der einst glanzvolle Konventsaal wurde einer "unwürdigen Nutzung"1) zugeführt, so geht die Klage. Rauhe Tische und Bänke ersetzten das zierliche Mobiliar und zerstörten das Rokoko- Ambiente. Wilde "Mäckeskinder" tobten hier am Vormittag herum, und am Abend diente der Saal gar als "Kneipe", wie immer wieder tadelnd erwähnt wird. Aber - bei allem berechtigten Unmut über den Zustand des Raumes - über seine Nutzung kann man durchaus positiv urteilen: Hier wirkten nämlich engagierte Männer, die versuchten, sich für die Belange ihrer Mitbürger einzusetzen. Im Konventsaal unterrichtete der katholische Missionsgeistliche Ries die "Mäckeskinder", Kinder von armen Leuten, die offenbar als Wanderarbeiter ins Ferndorftal gekommen waren. Die kleine Privatschule war also durchaus eine soziale Einrichtung, - aber die unvermeidliche Lärmbelästigung störte die anderen Mieter.
Da war eine weitere und heute weithin unbekannte Nutzung des Konventsaales doch wohl weit angenehmer für die Ohren der Stiftsbewohner: Im Konventsaal tagte nämlich einmal wöchentlich die 'Hilchenbacher Liedertafel', der erste Hilchenbacher Männerchor, 1841 gegründet von dem Kölner Arzt Dr. Hermann Romberg, ebenfalls ein Neu-Siegerländer. Der Chor hatte hier auch sein Vereinslokal, - das war also die "Kneipe"? Wohl kaum ein angemessener Begriff, wenn man sich die kulturelle Tätigkeit des Chores vergegenwärtigt.
Man muß wissen, daß die Männerchöre, zumeist 'Liedertafeln' genannt, in der 1.Hälfte des 19.Jahrhunderts etwas Neues und Fortschrittliches waren: Beherzte Männer sahen hierin ein Mittel, deutschen Freiheitssinn und Patriotismus zu stärken. Deshalb wurden diese liberalen Vereine von den Landesherren der deutschen Kleinstaaten aufmerksam und mit Argwohn beobachtet. Das war bei dem Hilchenbacher Verein anscheinend nicht nötig; denn er gab sich völlig harmlos und wurde gegründet, "um den Sinn für Musik und gesellige Freude" zu erregen, wie in der Satzung niedergelegt wurde. Der Chor tagte zunächst im Hilchenbacher Gasthof Wolschendorf und ab 1843 im großen Saal zu Keppel. Er erfreute sich regen Zuspruchs; die Sänger kamen nicht nur aus Hilchenbach, sondern aus dem ganzen Ferndorftal, bei besonderen Gelegenheiten gar aus Berleburg.
Die prächtige Rokoko-Stuckdecke mit der allegorischen Darstellung der vier Jahreszeiten war kein schlechtes Omen: Der Chor hatte nämlich ein anspruchsvolles Programm und studierte Haydns 'Vier Jahreszeiten' ein, ebenfalls die 'Schöpfung'; ob ganz oder in Auszügen, ist nicht zu ermitteln. Großen Erfolg erzielte er mit der Darbietung einer Vertonung von Schillers 'Glocke', alles in allem ein gediegenes Programm und durchaus nicht aufmüpfig. Hier, im Konventsaal, fanden auch die öffentlichen Aufführungen statt, die sich immer zu einem "Ereignis für das ganze Ferndorftal" gestalteten. Es muß eine drangvolle Enge geherrscht haben; sicherlich gab es aber auch Aufführungen in der Stiftskirche, die zu dieser Zeit von der Hilchenbacher Gemeinde während des Neubaus ihrer Kirche genutzt wurde.
Im Jahre 1846 nahm Rombergs 'Liedertafel' an einem großen Sängerfest in Siegen teil und wurde im 'Siegener Intelligenzblatt' mit viel Lob bedacht. Die Folge davon war, daß der Chor im gleichen Jahr, am 17.Dezember 1846, bei der Einweihungsfeier der neu erbauten Hilchenbacher Kirche mitwirken durfte.3) 1851 studierte Romberg Méhuls 'Joseph von Ägypten' ein. Da geschah es, daß kurz vor der Aufführung der Hilchenbacher Bürgermeister Schmitt die Aufführung untersagte mit der Begründung, der Chor verstoße mit der Erhebung von Eintrittsgeld gegen die Gewerbeordnung. Was war geschehen?
Die Entscheidung des Bürgermeisters hing ganz wesentlich mit der Person des Chorleiters, Dr. Hermann Romberg, zusammen. Dieser war nämlich, wenigstens für Hilchenbacher Verhältnisse, eine schillernde Persönlichkeit.
Romberg entstammte einer Musikerfamilie aus Delitzsch bei Leipzig.4) Sein Vater hatte am Rußlandfeldzug Napoleons teilnehmen müssen, war in russische Gefangenschaft geraten, konnte fliehen und sich zu den Preußen durchschlagen. Er wurde dann preußischer Militärmusiker in Köln.
Deutschland war damals ein Land im Umbruch, politisch zerrissen und verunsichert: Als Belohnung für ihren Einsatz im Kampf gegen Napoleon hatten die Fürsten ihren Untertanen eine liberale Verfassung versprochen, viele Bürger hofften auch auf ein geeintes Deutschland.5) Nach dem Wiener Kongreß (1815) zeigte es sich alsbald, daß die Fürsten ihre Versprechen nicht hielten, die Restauration breitete sich aus, und im Lande herrschte Resignation und Lethargie. Freies Denken wurde durch die Zensur behindert. All diese politischen Ereignisse und Erfahrungen wurden in der Familie Romberg lebhaft diskutiert und prägten den Sohn Hermann, geboren 1812. Seine Kindheit und ersten Mannesjahre fielen in die Zeit, die man heute mit Begriffen wie Biedermeier, Restauration, Junges Deutschland und Vormärz umschreibt. Die Bürger, vor allem die jungen Leute, erwachten aus ihrer zurückgezogenen Beschaulichkeit und erneuerten die fortschrittlichen Forderungen, die kleinen Leute litten unter den Folgen der einsetzenden industriellen Revolution, verarmten und wurden zum Proletariat.
Der junge Romberg beobachtete die politische Situation wachen Sinnes; er wurde stark beeinflußt von einem Kölner Jugendfreund, Robert Blum, der später, als linker Abgeordneter des Parlaments in der Frankfurter Paulskirche, eine große Rolle spielen sollte. Romberg studierte Medizin in Bonn und Berlin und ließ sich 1840 als Landarzt in Hilchenbach nieder. Welch ein Gegensatz!
Die Praxis als Armenarzt brachte nicht viel ein. Die Arbeit war sehr beschwerlich. Rombergs Krankenbesuche, meist zu Pferd, führten ihn weit ins Wittgensteiner Land und ins Sauerländische hinein, und er lernte die Not der kleinen Leute nur zu gut kennen. Von Anfang an engagierte er sich im Hilchenbacher Sozialleben. Da er sehr musikalisch war, gründete er die 'Liedertafel'. Und er beteiligte sich an der Etablierung eines literarischen Zirkels, zu dem auch die Netphener Schriftstellerinnen Elisabeth Grube und Katharina Diez gehörten, damals zwei durchaus bekannte bürgerliche Schriftstellerinnen. Er erkannte die Bedürfnisse der Bevölkerung und gründete einen 'Volksleseverein', und vor den Lehrern Hilchenbachs, von denen nur wenige eine fachgerechte (Seminar-)Ausbildung erhalten hatten, hielt er Vorträge über Pestalozzi und seinen Einsatz für die Kinder der Ärmsten. In Rombergs Nachlaß fanden sich ausgearbeitete Manuskripte über Washington und den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und über den 'Sozialismus'. Als ein Mann des Fortschritts hat er sicherlich mit den Männern seines Chores im Keppeler Konventsaal brennende Fragen der Zeit diskutiert und wohl auch das eine oder andere aufmüpfige Revolutionslied angestimmt, etwa die Vertonung eines Textes des damals sehr bekannten Schriftstellers Georg Herwegh:
Zittert, zittert, blöde Toren,
vor der Freiheit ehrnem Tritt! (Str.1, V.1,2)
Aufruhr in der "Kneipe"? Stammtischgerede? Dr.Romberg ging es um mehr.
1848 entlud sich in verschiedenen deutschen Städten der angestaute Volkszorn. Am stärksten war der Protest in Berlin, am 18.März, dem Tag der sog. Märzrevolution, an dem es viele Tote gab. Friedrich Wilhelm IV von Preußen, an sich gutwillig, aber beseelt von der Idee des Gottesgnadentums, strebte ein väterliches Verhältnis zu seinen Untertanen an und verkannte die Vehemenz der liberalen Bestrebungen. Aus Furcht stimmte er zunächst allen Forderungen zu, versprach sogar eine Verfassung, hielt sich aber später nicht daran, als er sah, daß das Volk sich besänftigen ließ.
In unserer Region kam es nur vereinzelt zu Protesten, etwa in Siegen oder dem Hickengrund.6)
Jedenfalls hielt nun auch der Neu - Siegerländer Romberg die Zeit für gekommen, seine Stimme öffentlich für die Einheit und Freiheit Deutschlands zu erheben. Am 22.März flatterte an der Hilchenbacher Kirchentür ein "aufhetzender Anschlag",7) (der leider nicht mehr erhalten ist), und Dr.Romberg versuchte auf dem Marktplatz eine Volksversammlung abzuhalten. Das war's.
Wie viele Leute kamen? Waren junge Leute aus dem Chor dabei? (Sicherlich!) Welche Ziele hatten sie genau? Man weiß es nicht. Die 'Revolution' mißlang völlig.
Der Magistrat ließ die Bürger auseinander treiben und rief am nächsten Tag zur Bildung einer Bürgerwehr auf, die sich auch konstituierte, aber nicht in Aktion zu treten brauchte. Das war die Hilchenbacher Revolution, und man fühlt sich durchaus erinnert an Heines Gedicht satirisches Gedicht 'Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen' , (das stets im Deutschunterricht besprochen wird, wenn in der 10./11.Klasse 'politische Lyrik' auf dem Programm steht). Da heißt es u.a.: .
Ausländer, Fremde, sind es meist
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.
......
Wo ihrer drei beisammenstehn,
da soll man auseinandergehn.
Das Nachts soll niemand auf den Gassen
sich ohne Leuchte sehen lassen.
......
Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren mit Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten. (Str. 2,5,7,8)
Nein, die Hilchenbacher wollten keine Revolution. Es ging ihnen zwar sehr schlecht, die Stadt war 1844 zum größten Teil abgebrannt, einen Tag nach der Grundsteinlegung zum Bau der neuen Kirche, an deren Baukosten sie sehr schwer trugen, und es gab zu wenigArbeitsplätze .8) Aber die meisten besaßen immerhin ein kleines Haus, einen mageren Acker und eine Kuh oder doch wenigstens eine Ziege, so daß sie sich notdürftig durchbringen konnten, und - gegen einen König demonstrierte man nicht!.( Viele interessierten sich auch eher für kirchlich-religiöse Fragen als für die Politik im fernen Berlin).
Was genau Romberg vorhatte, weiß man nicht. Ging es ihm mehr um die deutsche Einheit und die Bürgerrechte oder um die Lösung von Sozialfragen? Als Armenarzt kannte er schließlich die Probleme seiner Mitbürger.
Für ihn gab es - zunächst - keinerlei Konsequenzen; er ging weiter seiner Arbeit nach und diskutierte - vorsichtig, doch unbeirrt - die politische Lage mit seinen liberalen Siegerländer Freunden, dem Arzt Dr.Ungewitter aus Krombach und dem Lehrer Dr.Schmick. Es scheint, daß diese drei noch im Herbst 1848 eine Eingabe mit revolutionären Forderungen nach Frankfurt schickten9): Im Mai hatte sich nämlich dort in der Paulskirche die 1.deutsche Nationalversammlung etabliert. Von einer Antwort erfährt man nichts.
Die Männer der Paulskirche konnten damals wenig ausrichten: Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV schlug die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone als ‚Lumpenkrone‘ ab,weil sie ihm vom Volk und nicht von den Reichsfürsten angetragen worden war. Aber die liberalen Ideen und Grundsätze der Männer der Paulskirche fanden Eingang in die Gestaltung unseres heutigen Grundgesetzes und wurden im Sommer 1998 in einer großen Ausstellung gewürdigt.
Im November grämte Romberg sich über den Tod seines Jugendfreundes Robert Blum, dieser war als Abgeordneter der Paulskirche zur Beobachtung der Aufstände nach Wien geschickt worden, hatte dort in die Kämpfe eingegriffen und war standrechtlich erschossen worden. In Frankfurt folgten Zehntausende seinem Sarg. Sein Freund Dr.Schmick (im Siegerland bekannt durch seine Sammlung mundartlicher Gedichte) mußte ein Jahr später seine Lehrerstelle in Kirchen an der Sieg aufgeben und für vier Jahre nach England fliehen, weil ein aufrührerischer Brief von ihm gefunden worden war. Nach 1848 setzte in ganz Deutschland eine verschärfte Verfolgung und Bespitzelung ein, die viele bekannte Schriftsteller und Gelehrte außer Landes trieb.
In diesem Zusammenhang ist nun auch die Maßnahme gegen Dr.Rombergs Chorkonzert zu sehen; die Behörden waren angewiesen, auffällige Personen zu melden. Gegen das Programm des Chores und dessen finanzielle Organisation war wirklich nichts vorzubringen, aber der Bürgermeister Schmitt, neu und eifrig im Amt, fand vieles an der Person Rombergs auszusetzen. Die Bezeichnung ‚Demokrat‘ war in jenen Tagen ein Schimpfwort: Er sei, so befand er, "von den radikalsten demokratischen Gesinnungen beseelt"10), und er stellte fest, daß "alle jungen Leute hiesiger Stadt, welche demokratischer Gesinnungen verdächtig sind", der 'Liedertafel' angehörten. Er wies auf Rombergs Demonstrationsversuch von 1848 hin und befürchtete weitere Aktionen; noch sei sein Vorgehen "tief verschleiert", und es sei "bis jetzt noch nichts ruchbar geworden", aber eine "sorgfältige Überwachung" sei doch wohl angebracht. Amtmann Kocher aus Keppel stellte dem Chorleiter allerdings das beste Zeugnis aus, lobte insbesondere seine Wohltätigkeitskonzerte, und Romberg hatte durchaus einflußreiche Fürsprecher: Der Landrat selbst setzte die Aufführung des Konzerts beim Hilchenbacher Magistrat durch und erreichte die gleiche Regelung für das folgende Jahr. Aber er stimmte doch insofern dem Hilchenbacher Bürgermeister zu, als auch er meinte, der Chor müsse in Zukunft "in geeigneter Weise überwacht werden".
Wie dies geschah, ist nicht bekannt. Der Chor scheint aber eine Zeit lang in Hilchenbach kaum noch eine Rolle gespielt zu haben. Über Schwierigkeiten Dr.Rombergs hat man nichts gehört, im Vergleich zu seinen Freunden hatte er also kaum Schlimmes zu erdulden. Allerdings hört man auch nichts mehr über seine politischen Aktivitäten; er hatte seine Konsequenzen gezogen: Die Vortragstätigkeit stellte er ein, seinen Chor leitete er aber weiterhin, und es scheint so, als habe er sich nach 1851 ganz der Heimatkunde zugewandt.
Nach einigen Jahren war er in diesem Bereich sogar sehr erfolgreich: Im Jahre 1866 erntete er großes Lob für sein 'Siegerlandlied', das von späteren Chronisten, vor allem aus der NS-Zeit, sehr gepriesen wird, während sie über Rombergs kritische Haltung zur Obrigkeitschnell hinweggehen.11) In dem Lied werden die abstrakten Werte Glaube, Liebe, Hoffnung für das Siegerland beschworen, und man hört viel von knorrigen Eichen und lieblichen Wiesentälern. Bei der Jahreshauptversammlung des in Siegen tagenden naturwissenschaftlichen Vereins der Rheinlande besuchten die Gäste den berühmten Stahlberg. Dr.Romberg hatte sich mit seinem Chor heimlich auf Sohle 7 aufgestellt und überraschte die Besucher mit seinem Lied aus der Tiefe des Berges, (wobei er eine alte Tradition fortsetzte: Vor ihm hatten schon sangesfreudige Müsener im Jahre 1789 den oranischen Erbprinzen aus den Niederlanden auf diese Weise begrüßt).
1871 wurde nach dem Sieg über Frankreich das deutsche Reich neu begründet, unter preußischer Führung. Bürgerfreiheiten wurden zwar nur ansatzweise gewährt, aber die Begeisterung für den neuen Kaiser - Wilhelm I - war groß, und auch bei ehemals kritischen Zeitgenossen schlug der Patriotismus um in einen extremen Nationalismus. Im September 1871 feierte man im ganzen Land den Sedanstag zum Gedenken an den deutschen Sieg, - so auch in Hilchenbach. Anscheinend hat Romberg mit seiner 'Liedertafel' nicht an dieser Veranstaltung teilgenommen. Jedenfalls taucht sein Name nicht im Bericht des 'Siegener Kreisblattes' auf, wo doch sonst alle, die Rang und Namen haben, namentlich genannt werden: der Bürgermeister, der Pastor und vor allem der Direktor des neu gegründeten Lehrerseminars, der das Hoch auf den neuen Kaiser ausbringt und eine "sehr gediegene Rede"12) hält. Mißbilligte Dr.Romberg die deutschnationalen Töne? Er scheint sich stark zurückgezogen zu haben; er war jetzt immerhin fast sechzig Jahre alt und hatte eine große Familie zu versorgen. Einmal hört man noch von ihm, als er zum goldenen Arztjubiläum seines Freundes Dr.Ungewitter einen selbst verfaßten und vertonten Text vortragen läßt. Zwischen den Zeilen kann man durchaus Hinweise auf liberales Denken und gemeinsam durchlittene Enttäuschungen finden, wenn es heißt, der Freund habe "wie ein Fels im Meer in dem Weltgewühle" stets "für Wahrheit, Recht männiglich gestritten".13)
Dr.Romberg starb 1877, nach längerer Krankheit. Da zeigte es sich, daß er im Ferndorftal doch viele Verehrer hatte, die sich zusammenfanden und ihm einen würdigen Grabstein setzten, dessen Inschrift sein Freund Dr.Schmick verfaßte (inzwischen Professor am Realgymnasium in Köln). Darin ehrt dieser Romberg als hervorragenden Arzt und Chorleiter und weist verschlüsselt auf seine politischen Ambitionen hin, die er nur im vertrauten Kreise von "einigen wenigen"14) habe darlegen können: "Er durfte ja gar nicht laut werden mit seinem Besten, wie er mir das immer wieder geklagt hat im Verlauf vieler Jahre".
Wenn Schmick in einem Nachruf auf seinen Freund dichtet: "Zu Rombergs Zeit, da war es schön!", so meint er damit sicherlich nicht die politisch-soziale Lage im Ferndorftal, sondern Rombergs Wirken in der 'Liedertafel' in Hilchenbach und Keppel. Das waren immerhin fast vierzig Jahre ....
Das Grab Dr.Rombergs befindet sich noch heute auf dem alten Hilchenbacher Friedhof und wird
von der Stadt gepflegt, - immerhin!
1871 hatte Romberg seine alte Wirkungsstätte im Stift räumen müssen und in seinen letzten Lebensjahren die Chorstunden im Gasthof Wolschendorf abgehalten (heute 'Deutscher Hof'). Schon vor ihm hatte der katholische Pfarrer für seine "Mäckeskinder" ein anderes Domizil gefunden. Denn für das Stift bestanden Pläne einer neuen, umfassenden Nutzung, die nun, nach siegreicher Beendigung des Krieges, verwirklicht wurden: Der preußische Staat gründete hier eine höhere Mädchenschule mit Lehrerinnenseminar für die Töchter verdienter preußischer Offiziere, und zwar unter dem Protektorat Elisabeths, der Witwe des glücklosen Königs Friedrich Wilhelm IV. Es ist paradox, aber letzten Endes hat diese Standesschule für die Emanzipation und Selbstverwirklichung der hiesigen Mädchen mehr bewirkt als alle Märzrevolutionen. Zwar war die Symbolfigur der Freiheitsbewegung - die 'Germania'- weiblich, aber an die Belange ihrer Mitbürgerinnen hatten die liberalen Streiter bei allem Elan niemals und nirgendwo gedacht. Auch Rombergs 'Liedertafel' war schließlich ein reiner Männerchor...Für die Mädchen des Ferndorftales aber ergaben sich durch diese aristokratische Schulgründung zum erstenmal echte Bildungs- und Berufschancen, (natürlich nur für Töchter aus wohlhabendem Hause; das muß man selbstverständlich einräumen).
Mit dieser Feststellung soll das ehrliche und mutige Engagement der 48er aber durchaus nicht
abgewertet werden!
In Keppels Konventsaal verschwanden nun also die unwürdigen rauhen Tische und Bänke; prächtige Gründerzeitsessel, mit rotem Plüsch überzogen, machten ihn für viele Jahre zum 'roten Saal'. Die Schülerinnen durften ihn nur zu besonderen Anlässen betreten, etwa zu Kaisers Geburtstag oder um den Stiftsdamen-Lehrerinnen den im Turnunterricht erlernten Hofknicks vorzuführen. Das traf auch auf die vier Enkelinnen Rombergs15) zu, die als externe Schülerinnen hier zur Schule gingen und die Wirkungsstätte ihres Großvaters nur selten zu Gesicht bekamen.
Anmerkungen
1) W.Hartnack et al.: Stift Keppel im Siegerlande 1239-1951, 3 Bde., Bd.2, alle Zitate, S.16 f. - Zu Keppels Situation im 19. Jahrh. : Bd.1, S.157-195, Bd.2, S.11-16
E.Isenberg: Vorabdruck aus: Zur Geschichte der katholischen Parochie St.Augustinus Keppel in Hilchenbach-Dahlbruch (Dahlbruch 2000)
2) W.Menn:"Hermann und Romberg und Jacob Heinrich Schmick", Siegerland 1937, H.1, S.7 - Hier auch das nächste Zitat u. Hinweise zu öffentlichen Auftritten etc.
3) Das schönste Haus, ed. Ev. Kirchengemeinde, Hilchenbach 1996, S.43 (Aufsatz von W.Klein)
4) W.Menn, a.a.O., S.7-1O, H.Romberg jr.: "Drei Siegerländer Demokraten", Siegerland 1969, H.2, S.39-5O
5) dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd.2, dtv 128O, S.47-51
6) Siegener Zeitung, 23.3.1998
7) W.Menn: Hilchenbacher Festschrift zur 25O-Jahrfeier der Stadt, Hilchenbach 1937, S.52
8) F.W.Henning: Wirtschaftsgeschichte des Hilchenbacher Raums, Hilchenbach 1987, S.175
9) Romberg jr.: a.a.O., S.43, - Hilchenbacher Stadtmuseum, Abt. 19,1 -Katalog: Aufbruch zur Freiheit, ed. L.Gall. Frankfurt 1998, S.185ff., S.373ff.
10) Menn: a.a.O. (Romberg), S.8, hier auch die weiteren Zitate
11) Menn, a.a.O. (Romberg), z.B. S.8
12) Siegener Kreisblatt, 8.9.1871
13) Romberg, a.a.O., S.49
14) Menn, a.a.O. (Romberg), S.8 Romberg jr., a.a.O., S.47, weitere Zitate S.47, S.49
15) Hartnack, a.a.O., Bd.3, S.46d
Der vorliegende Text (leicht verändert) ist unter dem Titel ‚Wilde „Mäckeskinder“ tobten im Konventsaal‘ (D.J.) abgedruckt im Siegerländer Heimatkalender 1999, S.119-127; Hrsg. A. Wollschläger. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.